Anfang Juni meldet sich Georg Kofler (66) aus einer Lounge im Frankfurter Flughafen. Er spricht gedämpft, aber Kofler, einst ProSieben-Chef und heute CEO des E-Commerce-Unternehmens Social Chain, wirkt heiter wie eh und je. Aufgeräumt berichtet er, dass er "ganz mit sich im Reinen" sei. Er stehe schließlich "für Transparenz" und sei natürlich "fest davon überzeugt" gewesen, mit der Social Chain ein veritables Milliardenunternehmen zu schaffen.
Vor gut anderthalb Jahren schien es so, als würde die Social Chain zu Koflers ultimativem Triumph werden. Zusammen mit "Höhle der Löwen"-Star Ralf Dümmel (56) gelang es Kofler, das Unternehmen auf über 800 Millionen Euro Börsenwert zu pushen. Mehr als 100 Millionen Euro warb er von Investoren für die Vision ein, mit einer Kombination von Social Media und Onlinehandel ein Milliardenunternehmen zu erschaffen. Mindestens "ein neues ProSieben" sollte das Unternehmen werden, so Kofler damals, wenn nicht gar gleich eine "Kombination aus Facebook und Amazon".
ANZEIGE
00:12 / 00:11
Ein Angebot von
Aktionärinnen und Aktionäre, die den beiden vertrauten und am Höchstpunkt einstiegen, haben fast alles verloren: Der Börsenwert ist seitdem um 94 Prozent zusammengekracht. Die gesamte Gruppe ist Mitte Juni keine 40 Millionen Euro mehr wert (siehe Grafik).
Übrig von der Story der beiden Fernsehstars ist bald nicht mal mehr der Firmenname. Ihn hat Kofler genauso verkauft wie das angelsächsische Agenturgeschäft, das die Social Chain mit Expertise im Social-Media-Marketing versorgen sollte. Es bleibt ein defizitäres und schrumpfendes Handelsgeschäft, bei dem die Mehrheit des Umsatzes noch nicht einmal digital erwirtschaftet wird, sondern ganz profan im stationären Handel. In den ersten Monaten 2023 ist das Geschäft um die Hälfte im Vergleich zum Vorjahr eingebrochen, das Ergebnis ist tiefrot (minus 10,3 Millionen Euro). Bis zum Herbst sollen nun die letzten Spuren der damaligen Vision getilgt werden. Statt Social Chain soll das Unternehmen dann Tomorrow Now Group heißen.
Kofler wirkt dennoch bestens gelaunt, als er über die Entwicklung spricht. Von Selbstzweifeln oder Schuldgefühlen gegenüber den Anlegerinnen und Anlegern keine Spur. Vielleicht sei er "etwas zu euphorisch" gewesen, sagt Kofler; "ambitioniert" sei sein Vorhaben vom Milliardenkonzern gewesen, das schon, "aber machbar". Man könne ihm schließlich schlecht vorwerfen, "dass wir uns nicht von unserem wirtschaftlichen Umfeld abkoppeln konnten".
Er meint den Absturz von Digitalhändlern wie About You (80 Prozent Kursverlust). Doch der Vergleich trügt. Die Social Chain war immer zuvorderst ein gewaltiges Blendwerk: Schon lange vor dem Einbruch des Marktumfelds haben nur strahlende Versprechen die Risse überdeckt. Tatsächlich zeigt die Kofler-Dümmel-Story vor allem, wie dreist an der Börse geblendet werden kann. Es ist ein Lehrstück darüber, wie zwei TV-Prominente ihre Berühmtheit einsetzten, um Kleinaktionären ein hochriskantes Investment zu verkaufen.
Wundersame Aufwertung
Georg Kofler kennt sich mit dem TV-Geschäft bestens aus. Mit markigen Sprüchen in der Vox-Show "Die Höhle der Löwen" wurde er auch abseits von Wirtschaftsdeutschland als Investor und Dealmaker bekannt. Sein Vermögen hat der frühere Büroleiter von Medienmogul Leo Kirch damit gemacht, den ramponierten TV-Sender Premiere 2005 an die Börse zu bringen. Beim Börsengang war der 2,5 Milliarden Euro wert. Später stürzte der Kurs um 50 Prozent ab, als der Sender einräumen musste, die Abozahlen zu hoch ausgewiesen zu haben. Doch da hatte Kofler seine Anteile im Wert von rund 200 Millionen Euro schon verkauft.
Mit einem Trupp von Ex-Premiere-Managern machte er sich ab 2016 daran, die Social Chain aufzubauen. Mit dabei: Sein früherer Premiere-CFO und späterer Nachfolger auf dem Chefposten Michael Börnicke (62) sowie der frühere Premiere-Topmanager Holger Hansen (48), der zugleich der Bruder von Koflers damaliger Frau Christiane zu Salm (56) ist. Den Namen Social Chain übernahmen sie von einer Werbeagentur aus Manchester, bei der Kofler und Hansen einstiegen.
Nach und nach erwarben sie Anteile an verschiedenen kleinen E-Commerce- und Digitalfirmen, Ende 2017 übernahmen sie auch die Mehrheit an dem Berliner Sitzsackvertrieb Lumaland AG von Wanja Oberhof (37). Dieses Vehikel ebnete Kofler den Weg an die Börse. Die Lumaland AG setzte damals zwar nur 15,4 Millionen Euro um und machte dabei 1,5 Millionen Euro Verlust, war aber im unregulierten Handel gelistet. Der Kofler-Trupp übernahm im Juni 2019 mit der Börsenfirma die bisherigen Beteiligungen und nannte sie dann in Social Chain AG um. Zack, war Kofler an der Börse. Er selbst übernahm den Aufsichtsratsvorsitz; Oberhof wurde CEO. Auf Basis eines Gutachtens der Wirtschaftsprüfer Mazars wird eine luftige Bewertung für das hochdefizitäre Konstrukt gefunden: 155 Millionen Euro (bei 21 Millionen Euro Verlust und 51 Millionen Euro Umsatz im Jahr 2019).
Aussteiger: Wanja Oberhof war lange CEO der Social Chain. Inzwischen hat Georg Kofler den Posten übernommen.
Bild vergrößern
Aussteiger: Wanja Oberhof war lange CEO der Social Chain. Inzwischen hat Georg Kofler den Posten übernommen. Foto: O. Walterscheid / BrauerPhotos
Beobachter wunderten sich bald darauf, dass der Börsenwert innerhalb weniger Monate sogar noch eine "wundersame Aufwertung" erfuhr. Auf über 215 Millionen Euro wuchs er bis Mitte Oktober 2019. Gehandelt wurden dabei jedoch nur wenige Aktien im Wert von einigen Zehntausend oder Hunderttausend Euro pro Tag. Da sich rund 79 Prozent der Anteile in Händen der Kofler-Truppe befanden, reichte laut Datendienst Refinitv insgesamt ein Handelsvolumen in Höhe rund 4,1 Millionen Euro, um den Börsenwert um rund 130 Millionen Euro anzuheben. Hauptprofiteur auf dem Papier: Georg Kofler, der damals rund 47 Prozent der Aktien hielt.
Eine Story, die Vision blieb
Kofler erzählt heute, dass er und Oberhof damals "regelmäßig auf Roadshow" waren, um Investoren und Anleger zum Einstieg in die Social Chain zu bewegen. Sein Unternehmen bezahlte auch Firmen dafür, Studien zu der Aktie zu erstellen. Die Story, die Kofler und Oberhof damals erzählten: Die Social Chain werde das "erste integrierte Social Media Unternehmen", das einerseits über eigene Kanäle mit "über 80 Millionen Followern" verfüge und zugleich durch eine "einzigartige Techplattform" genau die richtigen Produkte für diese Zielgruppen entwickele. In dieser Erzählung kann man das Sammelsurium aus zusammengekauften Agenturen, Social-Media-Kanälen und E-Commerce-Firmen schnell für eine geölte Maschine halten, durch die – so die Eigenwerbung der Social Chain – "der Aufbau von Social Media Brands automatisierbar und skalierbar" wird.
Es war bestenfalls eine Vision. Die Realität sah nämlich ganz anders aus. Dazu muss man sich mit den Details des Big Pictures beschäftigen, das Kofler so charismatisch zeichnete. So hatte die Truppe durch die Agenturübernahmen zwar tatsächlich auch Social-Media-Accounts mit insgesamt über 80 Millionen Fans erworben. Doch die Follower wohnten überwiegend außerhalb Deutschlands, in Ländern wie den USA und Indien. Später musste die Social Chain auf Anfrage des manager magazins einräumen, die eigenen Kanäle in Deutschland nicht zu nutzen, um darüber eigene Produkte zu verkaufen. Damals sei man noch davon ausgegangen, ein US-Geschäft aufzubauen, erklärt die Social Chain heute. Eine Fehleinschätzung: Tatsächlich sollten die Follower für den Vertrieb der Produkte immer weitgehend unbedeutend bleiben.
Ähnlich verhielt es sich mit den "rund 300 Social-Media-Experten", die Kofler zufolge "über alle Facetten des Social-Media-Marketings unsere Produkte promoten und vermarkten können". Tatsächlich hatte die Social Chain damals in ihren Agenturen wohl Hunderte Experten, die Koflers Produkte vermarkten hätten können. Doch in der Realität seien sie fast ausschließlich gebucht gewesen im Auftrag von externen Kunden wie der Apple-Kopfhörermarke Beats, erzählen Beteiligte. Mit den Minibudgets der Kofler-Eigenmarken wie Ravensberger Matratzen hätten die Agenturen dagegen wenig anfangen können. Die Social Chain erklärt dazu heute, es sei stets öffentlich kommuniziert worden, dass die Agenturen "vorwiegend für internationale Drittmarken" tätig gewesen seien.
Das Muster wiederholt sich im Laufe der Jahre. Kofler – und später Ralf Dümmel als der zweite TV-Promi im Bunde – entwarf die ganz große Vision. Aufgrund seiner Bekanntheit gelang es ihm, seine Botschaften an ein breites Publikum zu senden. Und er war extrem überzeugend, schien selbst an seine Story zu glauben. Wer nicht genau hinhörte – oder sogar Insiderkenntnisse über die Gruppe hatte – konnte leicht missverstehen, was Vision, Erwartung oder Realität war.
Etwa als die Social Chain später verstärkt ihre "globalen" Ambitionen ins Schaufenster stellte. Eine "strategische Partnerschaft" würde "einen direkten Weg nach Asien, dem wichtigsten globalen Wachstumsmarkt" ebnen, hieß es Mitte 2020, inklusive Zugang zu "einem Netzwerk von über 200 Millionen Followern". Und auch in den USA sollte das Geschäft rasant ausgebaut werden: Auf 100 Millionen Dollar würde das US-Geschäft im Jahr 2021 anwachsen, prognostizierte die Social Chain später in einer Pressemitteilung. Tatsächlich wurden später bloß knapp 14 Millionen Euro Umsatz in den USA erzielt – und in Asien wenige Hunderttausend Euro.
Die Social Chain erklärt heute, die Pressemitteilungen hätte zutreffend "Erwartungen" in Hinsicht auf das China-Geschäft wiedergegeben und die Planungen für das US-Geschäft.
Vermeintliche "Volksaktie"
Als veröffentlicht wurde, was aus den "Erwartungen" geworden war, interessierte sich schon niemand mehr dafür. Kofler hatte nämlich im Oktober 2021 einen Coup gelandet: die Übernahme der DS Gruppe, mit der die Social Chain endgültig auch für einfache Vox-Zuschauerinnen und Zuschauer zum Begriff wurde. DS-Aushängeschild war Ralf Dümmel, Koflers Showkumpane aus der "Höhle der Löwen", dem damals rund 25 Prozent an dem Unternehmen gehörten. Die Firma verscherbelte vor allem vorrangig in China gefertigte Produkte in Discountern von Lidl bis Netto, Smoothiemixer etwa oder Gemüsespiralschneider sowie Produkte von Start-ups, die Dümmel in der Vox-Show aufgabelte. Mit der Sendung hatte ihr "im wahrsten Sinne des Wortes Löwendeal" (Kofler) freilich nichts zu tun. Für die massentaugliche Inszenierung der Hochrisikoaktie eignete sich der Bezug jedoch hervorragend.
Strahlemann: Social-Chain-Manager und "Höhle der Löwen"-Star Ralf Dümmel
Bild vergrößern
Strahlemann: Social-Chain-Manager und "Höhle der Löwen"-Star Ralf Dümmel Foto: Marcelo Hernandez / Funke Foto Services
Im damals globalen Kursrausch der Digitalaktien bewarben Kofler und Dümmel ihr Krimskramsgeschäft nun als ultimativen Schritt dahin, "eine der führenden Social-Commerce-Plattformen im internationalen Maßstab" zu werden – natürlich mit Erreichen der "Umsatzmilliarde" im Jahr 2023. Es passe "perfekt", jubelte auch Vorstandschef Oberhof.
Doch es blieb, wie so oft, eine kühne Vision. Insider berichten heute, dass die Topmanager der DS Gruppe schon damals seit Langem die Sorge umgetrieben habe, wie zukunftsfähig das eher margenschwache Geschäft der Gruppe überhaupt sei. "Wenn die Waren online statt in Märkten verkauft werden, ist das Geschäftsmodell null wert", sagt ein Kenner. 2019 war der DS-Umsatz sogar geschrumpft, auch 2020 wurde zunächst mit einem Rückgang gerechnet.
Erst der Lockdown befeuerte das Geschäft in Supermärkten und Discountern, die auch geöffnet blieben, als andere Läden schließen mussten. Und die DS-Leute konnten ihre Kontakte in China dafür nutzen, um ein gewaltiges Extrageschäft mit FFP2-Masken und Antigen-Schnelltests aufzuziehen. Die Folge war ein Umsatzsprung um 55 Prozent, genau im Jahr vor dem Kofler-Coup. 2021 stammte dann fast ein Fünftel des 610-Millionen-Euro-Umsatzes von Social Chain und DS Gruppe aus dem Geschäft mit Masken und Co – was Kofler und Dümmel beim Aufstieg in den regulierten Börsenhandel im November 2021 nicht berichteten.
Die Social Chain erklärt hierzu, man habe "zum jeweils erforderlichen Zeitpunkt die gebotenen Angaben kommuniziert". Und während man Geschäftsbereiche regelmäßig hinterfrage, bestehen "derzeit keine Zweifel am Aktionsgeschäft in Discountern". Dieses sei 2022 gegenüber der Zeit vor der Pandemie gewachsen.
Den beiden TV-Zampanos halfen die durch die Maskendeals gepimpten Zahlen jedenfalls, einen starken Bewertungsaufschwung für ihre "Löwenaktie" zu prognostizieren. Wenn man 2023 die Umsatzmilliarde erreiche, erklärte Dümmel am Tag der Auflistung in den Prime Standard der Frankfurter Börse im populären Marketing-Podcast OMR, werde die Bewertung "wahrscheinlich viel höher" liegen. Und klar: "Jeder Kleinanleger" sei "herzlich willkommen".
Das Interesse der Aktionäre habe "enorm zugenommen", freute sich damals auch Kofler über seine "Volksaktie". Der Börsenwert liege zwar bereits in der Größenordnung von 750 Millionen Euro. Doch er orakelte, dass der Wert von Dümmels Aktienpaket weiter steigen würde, und implizierte dabei, dass sich der Kurs "irgendwann" verdoppeln würde.
Kofler lässt dazu heute durch eine Sprecherin erklären, dass Bewertungsprognosen "bekanntlich Momentaufnahmen" seien. Er habe an anderer Stelle auch deutlich gemacht, dass die Bewertung "erheblich niedriger" liegen könnte. Als einziges Beispiel wird ein Podcast aus dem Oktober 2022 genannt. Da war der Kurs allerdings auch schon um 90 Prozent abgestürzt.
Rückzug nach Verkauf: DS-Stratege Hanno Hagemann und seiner Frau Daniela Hagemann gehörten rund 75 Prozent an der DS Gruppe. Trotz Kursabsturz können sie sich über eine üppige Cash-Auszahlung freuen.
Bild vergrößern
Rückzug nach Verkauf: DS-Stratege Hanno Hagemann und seiner Frau Daniela Hagemann gehörten rund 75 Prozent an der DS Gruppe. Trotz Kursabsturz können sie sich über eine üppige Cash-Auszahlung freuen. Foto: Felix Koenig / Agentur 54°
Allein auf wilde Kursfantasien wollte sich DS-Vordenker Hanno Hagemann (41), Schwiegersohn des verstorbenen DS-Gründers Dieter Schwarz, damals jedenfalls lieber nicht verlassen. Ihm und seiner Ehefrau, Schwarz-Tochter Daniela Hagemann (45), gehörten rund 75 Prozent der DS Gruppe. Und Hagemann, den Beteiligte als strategischen Kopf hinter der DS Gruppe beschreiben, handelte für sich und die anderen Anteilseigner beim Verkauf der DS Gruppe nicht nur ein Aktienpaket in Höhe von rund 120 Millionen Euro aus (heutiger Wert: rund sieben Millionen Euro), sondern für alle Fälle auch "eine schöne Cashkomponente" (Kofler) von 100 Millionen Euro. Es sei der perfekte Zeitpunkt für den Teilausstieg gewesen, erklären langjährige Begleiter heute – auch wenn ein nicht unerheblicher Teil der Erlöse wieder in die Social Chain investiert wurde.
Ausstieg der Profiinvestoren
Während Kofler und Dümmel noch trommelten, waren einige der Profinvestoren schon wieder ausgestiegen. Der schillernde Kapitalgeber Christian Angermayer (45) etwa, der Mitte 2019 knapp zwei Millionen Euro in die Social Chain investiert hatte, soll sein Investment mindestens verdoppelt haben. Andere Profis sollen nahe am Höhepunkt verkauft und ebenfalls hohe Renditen erzielt haben – etwa der Fonds von Marcel Jo Maschmeyer (33), dem Sohn von Ex-AWD-Chef und "Höhle der Löwen"-Co-Star Carsten Maschmeyer (64). Er war bereits bei einer Kapitalerhöhung 2020 vor dem Hype eingestiegen und soll mindestens einen mittleren einstelligen Millionenbetrag verdient haben; der Fonds bestätigt "eine fühlbar positive Rendite" und berichtet seinen Investoren später von "Kapitalerhöhungen, wie wir sie lieben".
Beteiligte erzählen heute, dass sie schon bei der Verkündung den anvisierten Milliardenumsatz für schwer erreichbar gehalten hätten. Als dann noch Anfang 2022 der Konsum einbrach, sei schnell klar geworden, dass der durch den "Löwendeal" stark verschuldeten Gruppe keine Mittel bleiben würden, um ihre Wachstumsziele zu erreichen.
Dümmel visionierte zwar noch im Februar 2022, dass die einst von DS übernommene Grillmarke Landmann "aktuell von unseren Social-Media- und Branding-Experten als internationale D2C-Marke mit eigener Millionen-Community und Omnichannel-Vertrieb aufgesetzt" werde. Doch heute hat die Marke, der auch Kofler "eine innovativere Social-Media-Strategie als Weber Grills" angedichtet hatte, gerade einmal rund 3000 Follower auf Instagram. 10,9 Millionen Euro musste die Social Chain im vergangenen Jahr auf Landmann abschreiben. Insgesamt wurden knapp 99 Millionen Euro des Firmenwerts gestrichen - mehr als noch übrig ist (89 Millionen Euro). Und von den insgesamt 610 Millionen Euro Umsatz im Jahr 2021 blieben 2022 auch bloß noch 368 Millionen Euro – bei einem Verlust von 128 Millionen Euro. In diesem Jahr soll der Umsatz nach Firmenprognose weiter schrumpfen: auf rund 280 Millionen Euro.
Die Verschuldung ist gleichzeitig so hoch, dass die Kofler-Truppe seit Anfang 2022 etliches verkauft hat, das einst die Megabewertung rechtfertigen sollte: Anteile an der Nüsse-Marke KoRo etwa, die lange als Aushängeschild für das Unternehmen galt, später auch das Agenturgeschäft in Großbritannien und den USA. Übrig bleibt zuvorderst das margenschwache Geschäft der früheren DS Gruppe mit der Aktionsware im stationären Handel.
Geführt wird das Unternehmen neben Kofler nun im Wesentlichen von der alten DS-Mannschaft. Die Social-Chain-Riege um Wanja Oberhof hat sich ebenso verabschiedet wie etliche Leistungsträger mit Digital-Know-how, darunter etwa Robert Wagner (40), der frühere CEO der E-Commerce-Marke Urbanara. Das Sagen haben nun die "Bad-Segeberg-Boys", eine Führungstruppe, die wie Hagemann aus dem 17.000-Einwohner-Nest bei Hamburg stammt. Selbst Urbanara wird inzwischen von einer langjährigen PR-Beraterin Dümmels geführt.
Hagemann hat sich inzwischen weitgehend aus dem operativen Geschäft verabschiedet. Die Rolle als Chief Operating Officer hat er im vergangenen Jahr aufgegeben. Doch die Social Chain beschert seiner Familie weiter ein stabiles Einkommen – durch einen Mietvertrag für Logistikflächen. Bis zu 29,3 Millionen Euro könnten bis 2041 von der Social Chain an eine Immobilienfirma fließen, an der die Familie Hagemann beteiligt ist.
Mehr zum Thema
Insidereport: Die Tricks der Wefox-Blender Von Jonas Rest und Dietmar Palan
Die Tricks der Wefox-Blender
Georg Kofler und Ralf Dümmel: Der Absturz der TV-Löwen Von Christina Kyriasoglou und Jonas Rest
Der Absturz der TV-Löwen
Georg Kofler: Die Hölle des Löwen Von Christina Kyriasoglou und Jonas Rest
Die Hölle des Löwen
Richtig schlecht gelaufen ist es hingegen für die Aktionärinnen und Aktionäre – und für Georg Kofler: Anders als damals bei Premiere konnte er nicht vor dem Absturz aussteigen. Rund 60 Millionen Euro soll er – inklusive nachrangige Kredite in Höhe von 37 Millionen Euro – in die Social Chain gesteckt haben. Die Anteile sind heute nur noch rund 14 Millionen Euro wert. Kaum verwunderlich also, dass Kofler schon wieder eifrig an einer neuen Story für seine Firmengruppe strickt.
Mit dem Verkauf des bisherigen Firmennamens schlage er "zwei Fliegen mit einer Klappe", erklärt er am Frankfurter Flughafen. Ihm werde nur abgekauft, was er sowieso habe losschlagen wollen. Social Media sei schließlich "nicht mehr die Hauptstory". Der neue Name Tomorrow Now Group treffe dagegen, worum es gehe: "Wir denken heute schon an die Konsumenten und deren Bedürfnisse von morgen." Mit einem "neuen fokussierten Geschäftsmodell" würden nun "innovative Produkte für den Massenmarkt" erschaffen.
Mal sehen, wie viele ihm diesmal glauben werden.
mitdiskutieren »