Aus gegebenem Anlass noch einmal der link zu einem Interview mit Fabio de Masi, dem „Wirecard-Aufklärer“, der sich seinerzeit auch recht intensiv mit Northern Data auseinandergesetzt hat.
https://financefwd.com/de/fabio-de-masi-northern-data/
„Wenn man sich anguckt, wie sich die Geschäftszahlen entwickelt haben, welche großen Deals bekannt gegeben wurden, dann scheint da einiges sehr aufgeblasen gewesen zu sein. (…) Eine Finanzaufsicht sollte in der Lage sein, Unstimmigkeiten in den Bilanzen auch schon in Angriff zu nehmen, bevor es in der Zeitung steht. Allerdings kann die Bafin bei Unternehmen, deren Wertpapiere nur im Freiverkehr und nicht am organisierten Markt zugelassen sind, kein Bilanzkontrollverfahren durchführen. Nach dem Wirecard-Skandal hat die Bafin zwar mehr Rechte zu Durchsuchungen, Beschlagnahme und Vernehmungen bekommen. Allerdings gibt es offenbar weiterhin erhebliche Lücken, wie der Fall Northern Data zeigt. (…) Die Bafin hat ein Mandat für den finanziellen Verbraucherschutz, das sie in der Vergangenheit nicht ernst genug genommen hat. Deswegen muss sie jetzt nachrüsten, das ist gar keine Frage. Allerdings ist die Bafin auch ein Riesenapparat, den muss man erst mal um-steuern. Ich will dem neuen BaFin-Chef nicht gleich Vorhaltungen machen, der ist noch nicht lange dabei.“
Da das Interview aus Oktober 2021 ist, könnte man inzwischen jedoch die Frage stellen, was seitdem passiert ist.
„Ein Unternehmen, das Kapital von Anlegern einsammeln will, hat natürlich die Pflicht zu sagen, was es tut. Das ist kein ungewöhnlicher bürokratischer Aufwand. An der Börse gehört es dazu, dass man zeitnah berichtet, wie sich die Geschäfte entwickeln. Anleger sind nicht da, um Almosen zu verteilen. Außerdem hat ein sauberes Unternehmen auch ein Eigeninteresse, einen solchen Bericht vorzulegen. (…)“
Scheinbar ist seit diesem Interview, das kurz nach dem Wechsel in der Bundesregierung zur Ampel stattfand, in Bezug auf die Kapitalmarktaufsicht nur wenig passiert. Zumindest von der FDP, die auch das Projekt der Aktienrente vorantreibt, hätte ich mir da mehr Impulse erwartet.
Wenn der deutsche Kapitalmarkt vertrauenswürdiger wäre, dann würden auch mehr Deutsche Geld für ihre Altersvorsorge dort investieren. Ist es dem durchschnittlichen Deutschen, der im internationalen Vergleich nur über eine unterdurchschnittliche finanzielle Bildung verfügt, zuzumuten, bei Aktienanlagen z.B. zwischen dem geregelten Markt und dem Freiverkehr zu unterscheiden?
Meines Erachtens macht es wenig Sinn, hier so stark zwischen einzelnen Börsensegmenten zu unterscheiden. Die BaFin sollte sich neben verstärkten Bemühungen in höherwertigen Börsensegmenten (Wirecard war am geregelten Markt notiert) auch der (möglichen) Auswüchse im Freiverkehr annehmen, diese aufklären und ggf. unterbinden.
Zeitnah zur Klageerhebung des Insolvenzverwalters von Wirecard gegen deren Wirtschaftsprüfer ist ein sehr interessanter Artikel in der Zeitschrift „Wirtschaftsprüfung“ erschienen (Gast/Halm/Rößger: Round-Tripping: Kann ein Im-Kreis-buchen zum Erfolg führen?, WPg 2024, 30). Er bezieht sich primär auf bei Wirecard aufgedeckte Umstände und ich sehe bei ND keine aktuell nachweisbaren Parallelen. Gleichwohl erscheint es mir zweckmäßig, bei ND das Vorliegen der nachfolgend beschriebenen Punkte sicher ausschließen zu können.
In dem Artikel heißt es:
„Round-Tripping beschreibt im Finanzwesen einen Kreislauf von Geld mit besonderem Bezug auf Investitionen im In- und Ausland. Diese Geschäftspraxis wird nicht nur der Wirecard AG zur Last gelegt, sondern auch mit anderen Unternehmen in Verbindung gebracht. Zu nennen wären etwa Enron, CMS Energy, Dynegy, Qwest oder Communications International. Bereits diese wenigen Beispiele zeigen, dass die Wirecard AG kein Einzelfall ist, wenn es um die Anwendung fragwürdiger Geschäftspraktiken geht. (…)
Der Internationale Währungsfonds (IMF) definiert Round-Tripping als „the channeling by direct investors of local funds to Special Purpose Entities (SPEs) abroad and the subsequent return of the funds to the local economy in the form of direct investment.“ Das Konzept des Round-Tripping beschreibt demnach einen wiederkehrenden Umlauf eines Vermögensgegenstands innerhalb eines (Wirtschaft-)Systems, ohne dass eine konkrete Nutzung des Vermögensgegenstands vorliegt. Im ökonomischen Kontext werden Transaktionen von Wirtschaftssubjekten getätigt und über eine oder mehrere Zwischenstationen wieder an den Ausgangspunkt zurücktransferiert. Die im Kreislauf beteiligten Wirtschaftssubjekte verfolgen in der Regel nur in Ausnahmefällen eigene wirtschaftliche Interessen; sie dienen vielmehr nur als Vehikel zur Abwicklung der Transaktionen und zum Vorteil des den Kreislauf initiierenden Wirtschaftssubjekts. (…)
Hinsichtlich der Bewertung des Round-Tripping aus Sicht der Rechnungslegung stellt sich die Frage, ob und unter welchen Voraussetzungen die Kreislaufgeschäfte gegen Grundsätze ordnungsmäßiger Buchführung und einschlägige Rechnungslegungsnormen verstoßen. Eine allgemeingültige Abgrenzung von Kreislaufgeschäften im Hinblick auf Illegalität gestaltet sich dabei schwierig. Grundsätzlich können illegale Aktivitäten zum Zwecke der Bilanzmanipulation in Bilanzverschleierung und Bilanzfälschung unterteilt werden.
Bilanzverschleierung bedeutet, dass Bilanzierungssachverhalte so undeutlich oder verzerrt dargestellt werden, dass die genaue Betrachtung des zugrunde liegenden Sachverhalts nur schwer möglich ist. Bilanzfälschung bezeichnet alle Arten erfundener oder vollkommen willkürlich erfasster Bilanzpositionen. Gemein ist beiden Unterformen der Bilanzmanipulation, dass zugrunde liegende Bilanzierungsstandards missachtet werden.
Ein wichtiger Ansatz zur Abgrenzung illegaler Geschäfte ergibt sich mit der Frage, ob das Round-Tripping den Grundsatz der Bilanzwahrheit verletzt. Obwohl den Kreislaufgeschäften in der Regel reale Geschäftsvorfälle zugrunde liegen, kann das Ziel des Round-Tripping darin bestehen, ein manipuliertes und demnach unwahres Bild der geschäftlichen Aktivitäten sowie der Vermögens-, Finanz- und Ertragslage des Unternehmens darzustellen. Dies folgt beispielsweise aus einem deutlich überhöhten Umsatzausweis oder aus der Manipulation der planmäßigen Abschreibung, was durch die Transaktionen innerhalb des Kreislaufs hervorgerufen wird. Die Adressatengruppen sollen damit über die tatsächlichen Verhältnisse des Unternehmens getäuscht werden. (…)
Des Weiteren können durch die zeitlich falsche Zurechnung von Vermögensänderungen oder Umsatzausweisen die auf dem Vorsichtsprinzip aufbauenden Abgrenzungsgrundsätze missachtet werden. Auch eine Verletzung des Anschaffungskostenprinzips nach § 253 Abs. 1 HGB käme in Betracht, wenn Vermögensgegenstände oberhalb ihrer fortgeführten Anschaffungs- und Herstellungskosten bilanziert werden. Dies kann aber dadurch umgangen werden, dass Vermögensgegenstände zu sehr hohen und willkürlichen Kaufpreisen im Kreis transferiert werden.“
Das war jetzt sehr trocken, Entschuldigung. Aber der Artikel liefert interessante Ansatzpunkte, in welche Richtung missbräuchliche Gestaltungen gehen können. Und ich sehe bei ND durchaus möglicherweise vergleichbare Tatbestände. Aufgrund der diffusen Kommunikation des Unternehmens mit dem Kapitalmarkt lassen sich diese von außen her jedoch nicht belegen. ND hat es aber auch nie versucht, die zahlreichen „Transaktionen“ (überhöhte Umsatzprognosen, Sacheinlagen, Tether-Fazilität, Wandelschuldverschreibungen, Anteilstausch usw.) der Öffentlichkeit so zu erklären, dass diese verstanden und für unschädlich befunden werden können.
Wie wir dem Interview mit Fabio de Masi entnehmen können, hat die BaFin bei ND – da Freiverkehr – kein weiteres Durchgriffsrecht und fällt damit als Sanktionsinstanz aus. Damit bleibt der Wirtschaftsprüfer der ND die einzige verbleibende Kontrollinstanz.
Wie der Stand in den Diskussionen zwischen dem Wirtschaftsprüfer und ND aktuell ist, wissen wir nicht. Es ist damit auch nicht klar, was die Ursache für die inakzeptable Verzögerung bei der Vorlage der testierten Zahlen ist.
Die noch am wenigsten verfängliche Erklärung wäre die Abwesenheit eines CFO als „Lead“ bei den allgemeinen Bilanzierungsfragen und Sparringpartner der Wirtschaftsprüfer, wenngleich auch dies bei einer börsennotierten Gesellschaft schon ein No-Go ist.
Ein wesentlich verhängnisvolleres Erklärungsmuster wären Zweifel an der Unternehmensfortführung – hierzu wurde schon mehrfach auf das durch ND berichtete „bereinigte EBITDA“ 2023 hingewiesen, was eine sehr ungünstige Unternehmensentwicklung in diesem Jahr erwarten lässt.
Die aus meiner Sicht schlimmste Erklärung für die eingetretenen Verzögerungen wäre, wenn die Wirtschaftsprüfer bei ND Tatbestände festgestellt haben, wie sie in dem o.a. Artikel beschrieben wurden und sich deswegen weigern, den Abschluss zu testieren.
Wie gesagt sind das alles nur Vermutungen. Der Artikel basiert überwiegend auf Feststellungen im Zusammenhang mit Wirecard, die wegen der Unschuldsvermutung nicht ohne weitere Prüfung auf Northern Data übertragen werden dürfen.
Aber die höchst optimistischen Prognosen, die Abwesenheit des testierten Abschlusses 2022 und die nahezu völlige Intransparenz über die tatsächliche Entwicklung des Unternehmens auch in allen übrigen Bereichen machen es schwer, davon auszugehen, dass derlei Punkte bei ND überhaupt nicht vorliegen.
Es liegt in den Händen der Gesellschaft, diese Vermutungen zeitnah zu entkräften!
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