Euro über 1,11 US-Dollar
"Vertrauenskrise": US-Dollar nicht mehr sicherer Hafen?
Der US-Dollar befindet sich auf Talfahrt und droht seinen Status als "sicherer Hafen" zu verlieren. Das könnte weitreichende Folgen haben.
- US-Dollar verliert an Vertrauen, Euro gewinnt stark.
- Zölle führen zu Kapitalabfluss aus den USA.
- Anleger bevorzugen sichere Häfen wie Yen und Franken.
- Report: Goldpreis nicht zu stoppen

Der Devisenmarkt hat auf die neue Zolloffensive der US-Regierung eine klare Antwort gegeben: Der Euro steigt, der US-Dollar fällt – und zwar kräftig. Die Gemeinschaftswährung kletterte am Donnerstag zeitweise über die Marke von 1,11 US-Dollar und markierte bei zuletzt 1,1090 US-Dollar den höchsten Stand seit Ende September.
Die Deutsche Bank warnt vor einer zunehmenden "Vertrauenskrise" beim US-Dollar, die dazu führen könnte, dass sich ausländische Investoren aus US-Dollar-Allokationen zurückziehen könnten, erklärte George Saravelos, der weltweite Leiter der FX-Analyse bei dem Finanzkonzern, am Donnerstag. Der US-Dollar droht seinen Status als "sicherer Hafen" zu verlieren, da immer mehr Investoren das Vertrauen in die US-Währung angesichts der erratischen Politik in Washington verlieren.
"Der Status des US-Dollars als sicherer Hafen wird ausgehöhlt", erklärte Saravelos. "Darüber hinaus geben die Entwicklungen seit Jahresbeginn Anlass zur Sorge, dass das Vertrauen in die wirtschaftlichen Aussichten der USA und in die mittelfristige Attraktivität von Dollaranlagen weiter schwindet."
Noch am Abend zuvor, vor der mit Spannung erwarteten Pressekonferenz von Präsident Donald Trump, lag der Kurs zum Euro bei 1,0853 US-Dollar. Damit hat der Euro binnen weniger Stunden 1,6 Prozent zugelegt – und seit Anfang Januar knapp 10 Prozent, als er noch bei knapp über 1,01 US-Dollar notierte.









Für viele Investoren kommt diese Entwicklung überraschend. Klassische Wirtschaftsmodelle legen nahe, dass protektionistische Maßnahmen wie Zölle die heimische Währung eigentlich stützen müssten – durch einen reduzierten Importbedarf und steigende Exportüberschüsse.
Doch an den Märkten zeigt sich das Gegenteil: Die Sorge um das Wachstum der US-Wirtschaft überwiegt, ebenso wie das Misstrauen gegenüber der wirtschaftspolitischen Planbarkeit der Regierung. Das Ergebnis ist ein wachsender Kapitalabfluss aus den USA und eine Flucht in andere Währungen – mit dem Euro als Profiteur.
Der US-Dollar-Index, der den Greenback gegenüber sechs führenden Währungen misst, fiel am Donnerstag auf 102,47 Punkte, den tiefsten Stand seit Oktober. Allein in dieser Woche hat der Index über zwei Prozent eingebüßt, im laufenden Jahr über vier Prozent.
Besonders auffällig ist, dass der US-Dollar nicht mehr von seiner traditionellen Rolle als sicherer Hafen profitiert. Stattdessen ziehen Anleger den Yen, den Schweizer Franken und sogar den Euro vor – ein deutliches Signal, dass die Märkte in der US-Politik derzeit eher ein Risiko als eine Stabilität sehen.
Für den Euro hingegen sprechen mehrere Faktoren: Europa verzichtet bislang bewusst auf aggressive Gegenmaßnahmen und zeigt sich verhandlungsbereit – ein Ansatz, der an den Märkten als besonnen und kalkulierbar wahrgenommen wird. "Der Markt hat diese ruhige Reaktion Europas honoriert", sagt Rodrigo Catril, Devisenstratege bei der National Australia Bank, gegenüber Reuters.
Zudem profitiert der Euro von der Erwartung, dass die US-Zölle die europäische Fiskalpolitik zu expansiveren Maßnahmen zwingen könnten, was mittelfristig das Wachstum in der Eurozone stützen würde.
Strategen wie Manish Kabra von Société Générale sehen den Euro bereits auf dem Weg zu 1,20 US-Dollar bis Ende 2025. Jefferies-Analyst Brad Bechtel warnt, dass ein weiter schwächelnder US-Dollar die Inflation in den USA anheizen könnte und sieht eine anhaltende Euro-Stärke.
Neben dem Währungsmarkt reagierten auch andere Anlagen auf die Zollankündigung: Gold stieg auf ein neues Allzeithoch, die Renditen zehnjähriger US-Staatsanleihen fielen auf ein Fünfmonatstief, und Aktien weltweit gaben nach. Die Flucht in sichere Häfen ist spürbar – ebenso wie das wachende Misstrauen gegenüber dem wirtschaftspolitischen Kurs der USA.
Autor: Ingo Kolf, wallstreetONLINE Redaktion

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