Assets der Zukunft

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"Krypto ist heute da, wo das Internet Ende der Neunziger Jahre war"

Bernhard Wenger, Nordeuropa-Chef und VP of Distribution beim Krypto-Fondsanbieter 21Shares, spricht im wO-Interview über Allzeithochs, Krypto-ETFs und wie die Blockchain den Alltag verändern wird.

Für Sie zusammengefasst
Assets der Zukunft - "Krypto ist heute da, wo das Internet Ende der Neunziger Jahre war"

wallstreetONLINE: Herr Wenger, es sind jetzt ein paar Monate vergangen, seit die ETFs in den USA gestartet sind. Hat sich der Hype, der da vorher aufgebaut wurde, bewahrheitet?

Bernhard Wenger: Ich glaube, der Hype, der aufgebaut wurde, hat die Erwartungen sogar übertroffen, was die Zuflüsse betrifft. Ich glaube nicht, dass wir gedacht haben oder auch unsere Mitbewerber in den USA, dass die Zuflüsse so schnell so stark sind. Da hätte man sich eher gedacht, dass sich vielleicht nach einem halben Jahr graduell entwickelt. Wir hatten auch nicht erwartet, dass das neue All Time High schon vor dem Halving kommt. Und das war natürlich der Hauptgrund - die ETF-Zuflüsse.

Das Halving alleine war dabei nicht unbedingt ein Kurstreiber, sondern das Halving in Kombination mit zukünftigen Zinssenkungen der Fed, das sehen wir mehr als Kurstreiber.
Alle vier Jahre passiert ein Halving. Anschließend sehen wir Monate später erst das All Time High, und dann wieder ein paar Monate später ein neues signifikant höheres All Time High. Und das wird eigentlich jetzt auch erwartet.

Wenn die ETF Flows weiterhin so stark sind, dann hat das sicherlich einen sehr, sehr positiven Kurseffekt. Es kann auch zu einem Art Angebotsschock kommen, weil natürlich extrem viel Bitcoins durch die ETF-Zuflüsse, die alle physisch hinterlegt sind, absorbiert werden. Das ist schon sehr konstruktives Umfeld für Bitcoin und hat natürlich dann auch einen Effekt auf andere Kryptos, weil die intracrypto Korrelation tendenziell relativ hoch ist.

wallstreetONLINE: Das heißt, da kommt noch etwas nach dieser ersten ETF-Euphorie?

Bernhard Wenger: Also der initiale Kursanstieg war schon da, aber tendenziell sind wir immer noch am Anfang, was die Investorenadaption von Krypto und von Bitcoin betrifft. Wenn wir weiterhin so starke Zuflüsse in die ETFs haben - was erwartet wird - dann wird sicherlich das nochmal ein Kurspotenzial nach oben haben. Und die potenziellen Zinssenkungen der Fed darf man nicht unterschätzen. Egal ob jetzt ein oder zwei oder drei kommen, Zinssenkungen sind immer gut für Risikoassets. Und das gilt für alle Kryptos am Ende des Tages, aber natürlich vor allem für Bitcoin, weil da gibt es eben schon diese Zuflüsse in die US ETFs.
 
wallstreetONLINE: Derzeit dreht sich in der Berichterstattung viel um die ETFs von Bitcoin und Ethereum, weil es eben die größten sind. Wenn man darüber hinausblickt: Was sind aktuell die interessantesten Blockchains oder die interessantesten Projekte?

Bernhard Wenger: Grundsätzlich ist es so, dass Krypto nicht gleich Krypto ist.  Deshalb finde ich auch den Ausdruck Krypto Asset besser als Kryptowährung, weil es nicht alles unbedingt Währungen sind. Bitcoin ist wahrscheinlich am währungsähnlichsten, es ist der digitale Wertspeicher. Manche nennen es digitales Gold.

Wir haben den sogenannten Crypto Classification Standard herausgegeben, der so ähnlich ist wie die GICS Aktiensektoren, wo man wirklich differenziert zwischen den verschiedenen Kryptosektoren. Und ich glaube, das beantwortet auch die Frage, welche Kryptos interessant sind. Man muss sich die verschiedenen Use Cases und Sektoren anschauen.

Das nächste spannende Projekt aus Investoren, aber auch aus Entwicklersicht ist zum einen Solana. Solana hat natürlich eine fantastische Kursentwicklung bereits hinter sich, aber ich glaube, das Kurspotenzial ist noch nicht ausgeschöpft.

Es ist auch eine Smart Contract Plattform, ist nicht ganz so dezentral wie Ethereum, weil es noch nicht so viele Validatoren gibt, aber es ist viel schneller und es ist extrem am wachsen. Es gibt auch einige interessante Kooperationen, die mit Solana arbeiten, wie Visa, wie Paypal. Also man sieht, dass traditionelle Firmen hier schon auf diese Technologie und Blockchain zurückgreifen.

Bitcoin entwickelt sich ebenfalls weiter. Mittlerweile kann man auch auf Bitcoin Smart Contracts laufen lassen und NFTs produzieren. Da gibt es ein Protokoll, das heißt Stacks, das das technologisch ermöglicht.

Was auch große Zukunft hat, sind sogenannte Oracles. Oracles sind Protokolle, die es ermöglichen, Daten aus der echten Welt auf die Blockchain zu bringen. Da ist Chainlink ein sehr, sehr nachgefragtes Protokoll und von der Technologie her auch ein Vorreiter.

wallstreetONLINE: Eigentlich reden wir, wenn es um Krypto geht, immer nur über den Preis. Aber die Technologie, die dahinter steckt, die Smart Contracts und die Anwendungsfälle, die stehen noch nicht so im Fokus. Wann kommt dieses Bewusstsein an im Mainstream? Sind wir schon in dieser Phase?

Bernhard Wenger: Bei Unternehmen glaube ich schon. Als Firma kümmere ich mich um die Zusammenhänge. Wie kann ich mein Geschäftsmodell optimieren und zukunftssicher machen? Und der Investor schaut halt mehr auf das Kurspotenzial.

Aber ich glaube, dass man noch auf der Investorenseite vielleicht etwas Aufklärungsarbeit leisten sollte, was eigentlich hinter der Technologie steht: Warum sind Smart Contracts so effizient? Warum hat das so eine Zukunftsfähigkeit auch als Investment Case? Ich glaube, wir sind immer noch sehr am Anfang, was das Investment betrifft, was die Technologie betrifft, am Anfang in der Implementierung. Aber bei Unternehmen sind wir teilweise schon sehr weit, was das Verständnis betrifft. Ein Autohersteller, eine Bank oder eine Versicherung, die beschäftigen sich schon seit Jahren mit der Blockchain.

Das Betreibungsregister ist ein gutes Beispiel. Wir hatten in der Schweiz eine Kollegin, die hat sich eine neue Wohnung zugelegt. Da braucht der Vermieter eine Schufa-Auskunft, also in der Schweiz ist das eine Betreibung. Das hat sie dann beim Amt angefordert, hat es bekommen. Und in dieser Schufa-Bestätigung war ein Ethereum Wasserzeichen eingefügt.

Und der Grund ist ganz einfach. Weil diese Schufa-Auszüge oft gefälscht werden in der Schweiz, werden sie auf der Blockchain gespeichert, um sie fälschungssicher zu machen. Und darum das Ethereum-Wasserzeichen. Es ist ein gutes Beispiel für einen Use Case und warum die Blockchain so stark ist.

wallstreetONLINE: Tokenisierung ist ein Thema, das ebenfalls schon recht lange diskutiert und erforscht wird. Aber im Alltag ist das noch nicht so richtig angekommen. Warum dauert das so lange?

Bernhard Wenger: Das hat verschiedene Gründe, beispielsweise regulatorische Gründe, es gibt auch keinen etablierten liquiden Sekundärmarkt. Es ist ein Thema, das sich sicherlich noch hinziehen wird. Aber ich glaube, das Bewusstsein der Blockchain ist bei Firmen schon angekommen, aber bei Privatinvestoren oder Privatkunden glaube ich noch nicht. Als Firma wäre es fahrlässig, sich nicht damit zu beschäftigen, weil ich irgendwann einmal mein Geschäftsmodell zukunftsfähig machen muss.

Es wäre ja so, als wenn ich als Unternehmen vor 20 Jahren gesagt hätte: Ich ignoriere das Internet und E-Mail-Technologie, ich mache weiter mit Fax und Telefon. Da hat man sich vielleicht auch nicht gedacht, dass das sich mal so entwickeln wird. Aber wir glauben ja auch, dass wir im gesamten Krypto-Blockchain-Bereich dort sind, wo das Internet vielleicht Ende der Neunziger Jahre war.

wallstreetONLINE: Nochmal zurück zum Kryptomarkt und den Anlageprodukten:  ETFs sind in diesem Jahr ein großes Thema. Diese Produkte sind aber aktuell nur in den USA zu kaufen. Wann kommen die ETFs nach Europa?

Bernhard Wenger: Das ist auch ein bisschen ein Irrglaube. Denn in Europa gibt es die Produkte seit sechs Jahren, die ETPs, und die sind sehr ähnlich den ETFs, bloß im europäischen regulatorischen Rahmen strukturiert. Man kann das mit Gold vergleichen. Gold ETFs von State Street gab es am Anfang und gleichzeitig gab es in Europa die Gold ETCs, damals von ETF Securities,. Dann kam das Xetragold, das in Deutschland mittlerweile jeder kennt.

Wir bekommen viele Anfragen von Investoren seit Januar, seitdem es die US ETFs gibt. Dann müssen wir sagen, ja, das europäische Äquivalent gibt es schon seit sechs Jahren. Wir haben einen super Track Record: Wir haben 40 Produkte, wir haben über 3 Milliarden verwaltetes Vermögen in Europa und fast soviel bereits in den USA, also insofern hat das schon Hand und Fuß.

Aber in den USA, da spielt natürlich die Musik. Wenn der weltgrößte Asset-Manager einen ETF emittiert, hast du natürlich eine andere Aufmerksamkeit, als wenn der europäische Marktführer das damals in der Schweiz emittiert hat. Aber ich glaube, unser Erfolg in den USA hat sehr stark auch damit zu tun, dass wir eben bewiesen haben, schon über fünf Jahre, dass wir dieses Produkt sauber strukturieren können mit einem funktionierenden Sekundärmarkt.

wallstreetONLINE: Wo sehen Sie die Branche in 10, in 15, in 20 Jahren? Auch mit Blick auf Bitcoin und Kryptowährungen als Wertspeicher aufgrund von globalen Krisen?

Bernhard Wenger: Digitaler Wertspeicher und als Währungsersatz, das kann Bitcoin sicher. Denn Bitcoin ist der digitale Wertspeicher und mittlerweile ja auch fast ein sicherer Hafen. Ich glaube, die Kombination im Portfolio aus Gold und Bitcoin ist sehr spannend in dem Zusammenhang.

In den letzten 18 Monaten hat Bitcoin in Ländern, in denen die Währung sehr schwach ist -  die türkische Lira, oder gewisse lateinamerikanische Währungen – schon viel früher ein All Time High erreicht als in Euro oder als in US-Dollar, darf man nicht vergessen.

In 10 Jahren gehe ich davon aus, dass Krypto noch eine wichtigere Rolle im Portfolio-Kontext als Gold spielen wird, aber die Kombination wird auch wichtig sein. Ich glaube, Bitcoin ist kein Goldersatz, aber es sollte trotzdem in ein diversifiziertes Portfolio als Währungshedge und Diversifikator reingehören.

Die anderen Kryptos werden teilweise zyklischer sein, teilweise ein bisschen defensiver. Das wird sich wie bei Aktiensektoren entwickeln. 10 Jahre sind eine lange Zeit, aber ich bin mir ziemlich sicher, in 10 Jahren werden wir Krypto-Sektorindizes oder Sektor ETFs haben, wie wir jetzt mit den Aktiensektoren haben, wo man sich dann je nach wirtschaftlichem Umfeld positionieren kann.

wallstreetONLINE: Herr Wenger, vielen Dank für das interessante Gespräch!

 



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Verfasst vonJulian Schick
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