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Dr. Dr. Zitelmann: "Das Elend eines Landes fängt an, wenn die Menschen dem Markt nicht trauen"

Dr. Dr. Rainer Zitelmann veröffentlichte jüngst das Buch „Kapitalismus ist nicht das Problem, sondern die Lösung“ mit dem Untertitel: Eine Zeitreise durch fünf Kontinente. Wallstreet:Online Redakteur Dr. Carsten Schmidt sprach mit Dr. Dr. Rainer Zitelmann über Kapitalismus und Sozialismus aus aktueller Perspektive.

Sehr geehrter Herr Dr. Dr. Zitelmann, der Titel Ihres Buches legt die Vermutung nah, dass der Kapitalismus verteidigt werden muss. Warum ist das so?

Zitelmann: Weil es ja kaum Verteidiger gibt. Sie werden keinen Politiker in Deutschland finden, der den Kapitalismus verteidigt. Für die „soziale Marktwirtschaft“ sind alle, sogar Sahra Wagenknecht. Aber die meisten verstehen darunter vor allem den umverteilenden Wohlfahrtsstaat und immer stärkere Staatseingriffe. Die Energiewirtschaft in Deutschland ist schon fast zu einer Planwirtschaft umgewandelt worden. Die Eigentumsrechte der Wohnungseigentümer werden immer weiter beschnitten („Mietpreisbremse“). Die staatliche Lohnfestsetzung begann mit dem Mindestlohn, im nächsten Schritt werden staatlich festgesetzte Obergrenzen für Managergehälter gefordert. Und die EZB führt sich auf wie die Planungsbehörde in einem sozialistischen Staat – durch die Nullzinspolitik und die Anleihekäufe ist der Markt hier bereits weitgehend ausgeschaltet. Wohin das alles führt, darüber müssen wir nicht spekulieren, man muss nur in die Geschichte schauen. Und genau dies tue ich in meinem Buch „Kapitalismus ist nicht das Problem, sondern die Lösung.“

Als historische Meilensteine in der Debatte Kapitalismus versus Sozialismus in den vergangenen drei Jahrzehnten nennen Sie den Fall der Mauer (1989) und die internationale Finanzkrise (2008). Woran machen Sie den Richtungswechsel fest?

Zitelmann: Genau. 1989 wurde vielen Menschen bewusst, dass Sozialismus und Planwirtschaft gescheitert sind. Der Systemvergleich war ja gerade in Deutschland so offensichtlich. Ich nenne dazu einige Fakten in meinem Buch, die viele jüngere Menschen gar nicht mehr kennen: 1989 besaßen zwölf Prozent der Ostdeutschen einen Computer, während es im Westen Deutschlands mehr als drei Mal so viele waren. In der DDR war ein Telefon im privaten Haushalt meist ein Privileg von Staatsbediensteten und höheren Angestellten. Nur 16 Prozent der DDR-Bürger, aber 99,3 Prozent der Westdeutschen besaßen 1989 ein Telefon. Nachdem das marktwirtschaftliche System auch in Ostdeutschland eingeführt wurde, haben sich die Zahlen rasch angeglichen. Bereits 2006 besaßen 72,9 Prozent der Ostdeutschen (78 Prozent der Westdeutschen) ein Auto, 66,6 Prozent der Ostdeutschen (69 Prozent der Westdeutschen) einen Computer, und auch in der Zahl der Telefonanschlüsse (99,8 Prozent West, 99,2 Prozent Ost) gab es keinen Unterschied mehr.

Das alles sah man unter dem Eindruck des Zusammenbruchs des Sozialismus deutlich. Aber spätestens seit der Finanzkrise von 2008 heißt es überall von Medien, Politikern und Intellektuellen, der Markt habe angeblich versagt und wir bräuchten wieder mehr Staat. Dabei zeige ich im 9. Kapitel meines Buches ausführlich, dass die Finanzkrise nicht das Geringste mit einem angeblichen Marktversagen zu tun hatte, sondern ganz im Gegenteil Ergebnis von massiven staatlichen Einmischungen in das Finanzsystem war. 

Sie nennen auch das Beispiel des Wohnungsbaus, wo es ja aktuell erhebliche Engpässe gibt. 

Zitelmann: Genau. Aber noch mehr Staat, noch schärfere Mietpreisbremse, noch mehr Bauvorschriften lösen das Problem nicht. Was staatlicher Wohnungsbau in der Konsequenz bedeutet, haben wir auch in der DDR gesehen: Obwohl der Wohnungsbau ein wesentlicher Schwerpunkt in der Honecker-Ära in der DDR war, zeigte sich hier am deutlichsten der Unterschied zwischen einem plan- und einem marktwirtschaftlichen System. Die Mieten in der DDR waren zwar sehr günstig, aber Bürger mussten viele Jahre warten, bis sie eine der begehrten Plattenbauwohnungen zugeteilt bekamen. Die Altbausubstanz in Mehrfamilienhäusern in Leipzig, Dresden, Ostberlin, Erfurt und anderen ostdeutschen Städten war so zerfallen, dass nach der Wiedervereinigung mit einem massiven Steuerprogramm viele Milliarden Euro in die Sanierung gesteckt werden mussten. Doch nicht nur alte Gebäude, sondern auch die DDR-Plattenbauten mussten im großen Stil saniert werden. Zusätzlich war ein erheblicher Neubau notwendig, um den Wohnungsmangel in Ostdeutschland zu beseitigen. 
Und heute? Durch immer mehr Öko-Vorschriften wird das Bauen in Deutschland immer teurer und komplizierter. Ein Bauträger, den ich gut kenne, musste neulich 240.000 Euro für die Umsiedlung von drei (!) Hamstern bezahlen. Ich bin wirklich tierlieb, aber ich hätte die Tierchen drei Kindern geschenkt und denen eine Freude gemacht. Aber nein, da muss ein neues hamsterfreundliches Biotop gebaut werden und jemand bezahlt werden, der sich darum kümmert. Für drei Hamster. Die Hamster haben jetzt ein neues Zuhause und die Menschen dürften dafür ein Jahr länger auf ihre Wohnungen warten. 

 



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